Documents on Real History
Freitag, 2. März 1990 -- Nr. 52
Die Buchhaltung der Nazi-Gewalt war auf schreckliche Weise perfekt; Gefangene, KZ-Insassen, Zwangsarbeiter wurden penibel verwaltet. Heute verwahrt der Internationale Suchdienst des Roten Kreuzes in Arolsen diese Datensammlung, und täglich fragen Hunderte nach Dokumenten, die zumindest das Recht auf Rente oder Wiedergutmachung belegen. Jetzt, da Moskau Einblick in Sterbebücher von Auschwitz gegeben hat, kommt neue Hoffnung auf.
Die Welt, Germany

Picture: Soviet troops liberate the Auschwitz-Birkenau concentration camp on January 27, 1945.
[Meczenstwo Walka, Zaglada ZydÛw w Polsce 1939-1945. Poland. No. 538]

Wenn selbst ein Hort des Grauens Hoffnung birgt

 

Russian troops free Auschwitz prisoners Jan 27, 1945

Von PETER SCHERER

 

MEHR als 40 Jahre lang hielten die Sowjets die Sterbebücher von Auschwitz - Vermutlich im Geheimarchiv des KGB -- unter Verschluß. Erst jetzt kann ein weiterer Teil der peniblen Buchhaltung des Massenmordes aufgeschlagen werden. Zunächst jedoch nur für die humanitäre Arbeit des Roten Kreuzes und nicht für die historische Forschung, der auch die übrigen 46 Millionen Einzelinformationen aus Gründen des Datenschutzes nicht zur Verfügung stehen, die der Internationale Suchdienst des Roten Kreuzes über ehemalige verfolgte Zivilpersonen des nationalsozialistischen Regimes im Dritten Reich im hessischen Arolsen gesammelt hat. In dieser Woche beenden drei Mitarbeiter dieser weltweit größten Datensammlung des Grauens die photographische Dokumentation im Generalstaatsarchiv in Moskau.

Erste Hinweise darauf, daß noch Totenbücher des größten Konzentrationslagers im Hitler-Reich existierten, bekam das Rote Kreuz während des Frankfurter Auschwitz-Prozesses 1963/64, bei dem ein russischer Professor drei der bislang als verschollen gegoltenen Sterbebücher vorgelegt hatte. Jahrelang versuchte das Rote Kreuz dann, von der UdSSR die Erlaubnis zu erhalten, das gesamte, von der Roten Armee im Januar 1945 bei der Befreiung von Auschwitz sichergestellte Material einsehen zu dürfen. Doch die Sowjets antworteten ausweichend oder gar nicht, „Erst im September des vergangenen Jahres haben wir dann die Einladung erhalten, nach Moskau zu fahren, um die dort im Generalstaatsarchiv gelagerten 46 Sterbebücher von Auschwitz mit ihren mehr als 70 000 Namen kopieren zu können", berichtet der Direktor des Internationalen Suchdienstes des Roten Kreuzes, Charles Claude Biedermann. Jedoch nur der Jahrgang 1942 ist mit 25 Büchern komplett vorhanden, Dokumente über das Jahr 1944 fehlen völlig. Biedermann hofft, daß sich demnächst auch die DDR-Archive der Arbeit des Suchdienstes öffnen werden.

Jetzt bringen in Arolsen studentische Aushilfskräfte die Todesurkunden dieser Auschwitz-Opfer, die Hitlers Vernichtungsmaschinerie bürokratisch perfekt und in sauberer Maschinenschrift „abgebucht" hat, in alphabetische Reihenfolge. Tausende von Namen halten sie da in Händen, Tausende von Schicksalen, Tausende von Leben, die zwischen 1941 und 1943 vernichtet wurden, Sterbeort, so steht es da immer geschrieben:

„Auschwitz, Kasernenstraße". Und auch die von KZ-Ärzten bescheinigten Diagnosen gleichen sich: Herzschwäche, Herzmuskelschwäche, Herzwassersucht, plötzlicher Herztod...

Zusätzlich zu diesen Unterlagen, so berichtet Biedermann weiter, hätten die Russen im Dezember [1989] auch 130 000 Arbeitskarten von Zwangsarbeitern, nicht von Lagerinsassen von Auschwitz, zur Kopie freigegeben. „Und in dieser Woche schließen wir die Aufnahme weiterer 200 000 Dokumente, wie Transport- und Kranken-zimmerlisten sowie von Arbeitsbüchern aus anderen Konzentrationslagern wie Oranienburg, Sachsenhausen, Groß-Rosen, Ravensbrück und von Buchenwald-Außenlagern ab, so daß wir dann 400 000 neue Daten und damit auch neue Hoffnungen haben, mit diesen Dokumenten Ansprüche auf Rente oder Wiedergutmachung belegen zu können." 470 000 Fälle hat der Suchdienst nach vergeblichen Recherchen abgelegt, für die bislang keine Belege gefunden werden konnten.

Hauptaufgabe des 1943 gegründeten Suchdienstes ist es, „Vermißte zu suchen und die Unterlagen über Deutsche und Nichtdeutsche, die in nationalsozialistischen Konzentrationslagern oder Arbeitslagern gefangengehalten wurden, oder über Nichtdeutsche, die infolge des Zweiten Weltkrieges verschleppt worden sind, zu sammeln, zu ordnen, aufzubewahren und direkt Betroffenen zugänglich zu machen". Die mit 334 Mitarbeitern ausgestattete Einrichtung hat ihre Informationen festgehalten auf 110 000 Metern Mikrofilm und auf fast 20000 laufenden Metern Dokumenten der verschiedensten Art wobei lediglich Buchenwald und Dachau nahezu vollständig erfaßt werden konnten. Der weltweit größte Bestand an Belegen über Deportation, Zwangsarbeit und Ermordung von rund 13,5 Millionen Verfolgten der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft lagert nicht weit von einem Ort entfernt, an dem im Dritten Reich Stiefelabsätze knallten und schwarze Kolonnen aufmarschierten -- einer Kaserne der SS.

Plötzlich ist das Grauen greifbar: beim Blick in die Stahlschränke der „Effektenkammer", wo jene Gegenstände gelagert sind, die Häftlingen bei ihrer Einlieferung in das Konzentrationslager Neuengamme weggenommen wurden. Eine goldene Taschenuhr, eine Brosche, ein silbernes Besteck. Sie können nur dann noch zurückgegeben werden, wenn sich die Betroffenen wegen Haftbestätigungen an den Suchdienst wenden.

Etwa 13 Monate dauert es derzeit, bis eine an den Suchdienst gerichtete Anfrage beantwortet werden kann. Der Grund liegt in der großen Fülle von Anfragen, die in den vergangenen Jahren noch weiter zugenommen haben. Waren es vor einigen Jahren jährlich etwa 30 000 bis 40 000, so sind es seit 1985/1986 mehr als 100 000 Briefe jährlich. Die überwiegende Mehrzahl der Schreiben kommt aus Polen, gefolgt von Zuschriften aus Deutschland und Frankreich. Im vergangenen Jahr erreichten den Suchdienst Hilfeersuchen aus insgesamt 39 Ländern.

Direktor Biedermann vermutet mehrere Gründe für diese Entwicklung, die auch den Suchdienst überrascht habe: Vor allem gebe es zahlreiche neue staatliche und private Wiedergutmachungs-Fonds auch für Personengruppen, die zwar schon einmal Zahlungen erhalten hätten, aber nur in sehr bescheidenem Maße.

Ein weiterer Grund sei, daß sich 1985 die Medien intensiv mit dem Kriegsende vor 40 Jahren beschäftigt hätten, was auch viele ehemals Verfolgte dazu gebracht habe, „aus ihrem jahrelangen Schweigen herauszutreten". Aber auch die schlechter gewordene wirtschaftliche Lage in Polen habe sicher etwas damit zu tun, „daß viele, die gar nicht schreiben wollten, die das Kapitel ‚Zweiter Weltkrieg' für sich abgeschlossen hatten, sich jetzt aus wirtschaftlichen Gründen doch noch melden und um Nachweise für ihre Verfolgung bitten".

Es sind dies jene Zivilpersonen, die während der NS-Zeit aus Gründen der Rasse, Religion, Volkszugehörigkeit, der moralischen Überzeugung oder politischen Einstellung gefangengenommen worden waren oder Zwangsarbeit leisten mußten. Sie hoffen darauf, daß der Suchdienst in langwieriger Sisyphusarbeit Belege finden kann, die ihr Schicksal nachweisen. Mit einer entsprechenden Bescheinigung könnten dann Ansprüche auf Altersrente oder Wiedergutmachung gestellt werden.

Im einzelnen verfügt der Suchdienst über Unterlagen von Deutschen und Nichtdeutschen, die in Konzentrations- oder Arbeitslagern oder Gefängnissen inhaftiert waren. Außerdem hat er Dokumente über Nichtdeutsche gesammelt, die während des Krieges auf dem Gebiet des Dritten Reiches zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden. In den insgesamt 20 Einzelarchiven sind ferner Belege über nichtdeutsche verschleppte Personen (,,displaced persons") enthalten, die nach dem Krieg von den Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen betreut wurden.

Was wird aus den Material in der Zukunft, wenn das Rote Kreuz seinen humanitären Auftrag - vermutlich Ende der neunziger Jahre -- als erfüllt ansehen wird? Direktor Biedermann hofft, daß dieses einmalige Archiv nicht auseinandergerissen, sondern später der historischen Forschung zur Verfügung gestellt wird", Das Haus in Arolsen ist Eigentum der Bundesrepublik Deutschland, die auch den Suchdienst zu l00 Prozent finanziert.

Jedoch gehören de Dokumentenbestände der Aufsichtsbehörde des Suchdienstes, nämlich einem internationalen Ausschuß der Regierungen von Belgien, Frankreich, der Bundesrepublik, von Griechenland, Israel, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, von Großbritannien und den Vereinigten Staaten.

Charles Claude Biedermann nimmt eines der Sterbebücher von Auschwitz in die Hände und sagt: ,,Wir müssen das aufbewahren bis zum Jüngsten Tag." square

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