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Berlin, Freitag, 17. März 2000


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Zur Person David Irving

Irving kommt anDavid Irving gilt als einer der umstrittensten Historiker der Nachkriegszeit. In Hutton/England kam er am 24. März 1938 als Sohn eines Marineoffiziers zur Welt. Er studierte Naturwissenschaften und Staatswissenschaften in London und arbeitete ein Jahr bei Thyssen, um sein Deutsch zu verbessern. Schon sein erstes Buch erregte 1963 Aufsehen, weil er bisher unbeachtete Dokumente über den englischen Luftangriff auf Dresden auswerte. Bekannt wurde Irving durch seine beiden Hitler-Biografien, in denen er nachzuweisen versuchte, dass Hitler zumindest bis 1943 nichts von der "Endlösung" gewusst hatte. Historiker fanden später heraus, dass tatsächlich kein direkter Befehl Hitlers zur "Endlösung" existiert. Irving wurde wegen umstrittener Aussagen zum Holocaust aus Deutschland, Österreich und Kanada ausgewiesen. DW

Bücher und Aktenordner zur Verteidigung: Schwer bepackt
kommt David Irving vor den Londoner High Court an

 


Der Showdown

Schlussplädoyers vor dem Londoner High Court: Der Verleumdungsprozess des umstrittenen Historikers David Irving ist ein öffentliches Schauspiel

 

Von Thomas Kielinger

Der kleine, grauhaarige Mann aus Chiswick, einem westlichen Vorort von London, sitzt seit dem 11. Januar jeden Tag im High Court, erst in Raum 37, dann, weil der Andrang immer größer wurde, im größeren Saal 73, und beobachtet auf seinem mit blauem Stoff bezogenen Stuhl in der oberen von vier ansteigenden Reihen das Geschehen vor ihm, zusammen mit etwa 60 weiteren Zuschauern, die neben der Presse ein dringendes Bedürfnis verspüren, hier dabei zu sein.

Michael Lee wurde nicht in London geboren, sondern in Lodz, 1924, und er hieß auch nicht Lee, sondern Lewkowicz. Es ist ein Teil auch seiner Biografie, der hier mit dem Verleumdungsprozess "David Irving gegen Deborah Lipstadt und Penguin Books" vor Gericht steht, ein mehr als 55 Jahre zurückliegender Teil, dem seine Ohren folgen "wie einem surrealen Stück", wie er sagt.

Eingeschlossen im Getto von Lodz, wurde Michael Lee nach dessen Vernichtung nach Gleiwitz verschleppt, zum dortigen "Reichsausbesserungswerk", als lötkundiger Handwerker. Bei Anrücken der Roten Armee werden die jüdischen Zwangsarbeiter auf einen Todesmarsch nach Groß-Rosen geschickt, von da kommt Lee, damals Lewkowicz, als einer der wenigen Überlebenden, nach Buchenwald, dann im März 1945 ins bayerische Allach, schließlich nach Dachau, wo die Amerikaner ihn befreien und in einem Lager für "displaced persons" in Feldafing unterbringen. Durch Verwandte in England gelangt er nach London und beginnt als Michael Lee mit seiner Wiederauferstehung.

Es sind Zeitzeugen wie dieser, Tag für Tag morgens um neun Uhr vor dem High Court anzutreffen für seinen Platz im Prozess, und damit quasi für seinen Platz in der Geschichte, die daran erinnerten, dass hier nicht irgendeine Vergangenheit seziert, sondern eine lebende Wunde neu in Augenschein genommen wurde. Der kleine Mister Lee folgt dem Schlusstag der Plädoyers, die vorher verteilten Texte der streitenden Parteien auf seinem Schoß, und starrt einmal stoisch unbewegt, dann wieder, den Kopf ungläubig schüttelnd, mehr in sich hinein als auf die Papiere oder die beiden Hauptredner vor sich. Eigentlich wirkt Michael Lee in seinem bloßen Erscheinen wie die Verkörperung einer Frage: Kann es an der Geschichte des Holocaust überhaupt noch irgendeinen Zweifel geben? Die Frage berührt in der Tat den Kern dieses Londoner Prozesses, der erst in etwa vier Wochen, um den 10. April herum, mit dem Urteil des Richters Charles Gray sein Ende finden wird. Bis dahin muss man, vor allem nach den abschließenden Plädoyers, die sich bis um 16.45 Uhr am Mittwochnachmittag hinzogen, mit angehaltenem Atem den Ausgang abwarten. Dieser ist ungewisser denn je, weil nach englischer Rechtsprechung bei Verleumdungsklagen die beklagte Partei - hier die amerikanische Forscherin Lipstadt und ihr englischer Verleger - das Gericht überzeugen können muss, dass der Kläger, also David Irving, "mit Vorsatz" gehandelt hat, wenn er in seinen Veröffentlichungen das tut, wessen ihn Frau Lipstadt in ihrem Buch "Die Verneinung des Holocaust - Der wachsende Angriff auf die Wahrheit und die Erinnerung" beschuldigt: "dass er die Geschichte fälscht, um sie seiner ideologischen Neigung und politischen Agenda anzupassen."

RamptonWelcher Agenda, stellt Verteidiger Richard Rampton wie ein guter Autor noch einmal ans Ende, als Höhepunkt seines Schlusswortes: "Holocaust-Verneinung in der von Mister Irving praktizierten Form ist ein offensichtliches Beispiel für Antisemitismus und daher Musik in den Ohren von Neonazis und anderen rechten Extremisten. Mister Irving ist ein Parteigänger Hitlers, der die Geschichte in Schwindel erregender Weise verfälscht hat, um Hitlers Unschuld zu ,beweisen' - was, wie die Verneinung des Holocaust selber, seinen ,fellow travellers' sehr entgegenkommt. Schließlich kann Hitler, wenn der Holocaust eine ,Mythe' wäre, auch nicht dafür verantwortlich gemacht werden."

Anwalt Rampton hat dem Hohen Gericht die über 200 Seiten lange detaillierte Dokumentation der Verteidigung vorgelegt, eine Zusammenfassung aller Zeugenaussagen aus den vorangegangenen zwei Monaten, ein Punkt-für-Punkt-Beleg der Anschuldigungen, gegen die Irving klagt. Breitesten Raum nehmen die gesammelten Fundstellen aller Hitler-Äußerungen ein zur Frage der Ausmerzung der Juden. Breit vor allem die Darstellung der nach Meinung der Verteidigung selektiven Methode Irvings im Umgang mit historischen Zeugnissen.

Das kann Rampton schlechterdings nicht alles vorlesen, und so begnügt er sich mit einem 25-Seiten Abriss, den er mit leiser Stimme, gelegentlich in der Bewegtheit stockend, in 50 Minuten hinter sich bringt, eine juristisch-methodische Eingabe eher als ein Fanfarenstoß zur Beeindruckung der "Galerie" oder des Richters. Da der Prozess in Übereinstimmung mit allen Beteiligten ohne Geschworene stattfindet, schenkt sich die Verteidigung schon deshalb jedes rhetorische Dekor.

Dem Judge Charles Gray braucht man ohnehin nichts mehr vorzumachen. Er war vor seiner jetzigen Rolle als Richter Staranwalt in Verleumdungsklagen und kennt die Rechtsauslegung wie kein anderer. Auch die Kostenfrage in diesem Prozess muss er beachten.

Irving reklamiert unter anderem Verluste für Jahre von ausgefallenen Vortragsreisen oder Verträgen mit Verlagen, verursacht durch die "Verleumdungskampagne" gegen ihn. Unterliegt er, kommen freilich auch die riesigen Kosten der Verteidigung bei der Vorbereitung dieses Prozesses auf ihn zu, Kosten, die oft nicht gezahlt werden wegen der Zahlungsunfähigkeit des Verlierers.

Im Saal 73 wird es mucksmäuschenstill, als Judge Gray Verteidiger Rampton fast rügend fragt, warum er so viel Zeit auf den Antisemitismusvorwurf gegen Irving verwende. Wäre es nicht wichtiger, er konzentriere sich auf den eigentlichen Kasus: den Fälschungsvorwurf? Gray lässt durchblicken, warum er so argumentiert. In Großbritannien - darauf wird auch Irving in seinem Schlusswort hinweisen - ist die Freiheit des Redens und Meinens äußerst weit ausgelegt. Auch die unappetitlichsten Ansichten laufen ohne Regress herum, solange sie nicht gegen einen anderen als justiziable Behauptungen gewendet werden und sich dann in einer Verleumdungsklage vor Gericht wieder finden.

Dass die Verteidigung von Frau Lipstadt mithin so stark auf den behaupteten Antisemitismus des Klägers anhebt, irritiert den Richter fast. Er scheint zu suggerieren: Wir suchen hier nicht nach Motiven, sondern nach Beweisbarkeit historischer Behauptungen. Richard Rampton freilich lässt nicht locker. Für ihn stellt sich bei David Irving die Frage nach dem "Warum" nicht als müßige Nebenforschung, sondern hat mit dem Kernpunkt seines Arguments zu tun - mit dem Versuch, Irvings Behauptung, er sei ein seriöser Forscher, zum Einsturz zu bringen.

Judge Grays Gesicht verwandelt sich sofort wieder in seine gewohnte Undurchdringlichkeit, als täte es ihm leid, der Öffentlichkeit einen kurzen Einblick in die Komplexität der britischen Rechtslage bei Verleumdungsfällen gegeben zu haben und damit einen Einblick in die Schwierigkeit, die er bei der ausstehenden Beschlussfassung vor sich sieht.

Irving, der Kläger, spricht als Letzter. Erprobt in forensicher Rhetorik - er hat genügend Prozesserfahrung - steigt er, sein eigener Anwalt, um zwölf Uhr Mittag in das Schlusswort. Es ist kein gnädig auf seine Hauptpunkte verkürzter Text, abgeteilt von einem größeren Manuskript. Es ist der einzige Text überhaupt, den er bei sich hat und verteilt, 104 Seiten, von denen er nur einige, vom Richter dazu aufgefordert, überspringt. Dreieinhalb Stunden, nur durch die Mittagspause unterbrochen, fallen die Kaskaden seiner Empörung über die Anwesenden.

Fehler, die er eingesteht, nennt er "unschuldige Irrtümer", aber: "In meinem Buch ,Hitlers Krieg' habe ich geschrieben, dass Hitler eindeutig verantwortlich war für den Holocaust, sowohl in seiner Eigenschaft als Staatsoberhaupt wie durch seine vielen Reden und die Organisation, die das Ganze auslöste." Es gehe ihm immer nur um Dokumente, die sich einfach nicht finden ließen, Hitlers Einsatzbefehl zur Endlösung zu belegen. Zu seiner Unterstützung führt Irving namhafte Historiker wie Raul Hilberg oder A. J. P. Taylor an, auch Goldhagens Buch "Hitlers willige Vollstrecker", das ebenfalls die Verantwortung für den Holocaust auf viele Schultern verteilt habe.

Am stärksten rekurriert der Kläger auf den gegenwärtigen Historikerstreit in den USA, vor allem auf Peter Novicks jüngstes Buch "Der Holocaust in der amerikanischen Geschichte", in dem das Recht auf "skeptische Revision" der Geschichtsschreibung gegenüber allen Versuchen, den Holocaust zu ikonisieren, reklamiert wird. Ungestüm zählt er die vielen Versuche auf, ihn zu isolieren und unter Quarantäne zu stellen; auch seine Familie sei mit lebensbedrohenden Kampagnen nicht verschont worden.

Endlos noch einmal Irvings Einlassungen zur Frage, wie viele Leichen in Auschwitz nach Maßgabe praktischer Möglichkeiten vom Keller ins Krematorium hätten transportiert werden können, und wie die Indizienlage zur Wahrscheinlichkeit von Massenvergasung von Opfern zu interpretieren sei - Irving leugnet sie rundweg und unterstellt seinerseits der beklagten Partei, Dokumente nur selektiv wahrzunehmen.

Judge Gray zieht sich am Ende zurück wie auf der Flucht. Auf ihm lastet die Auslegung einer Verleumdungsklage, wie sie noch kein irdisches Gericht hat beurteilen müssen. Englische Rechtsprechung ist eine Sache. Die Folgen für die Debatte um den Holocaust, je nachdem, wie der Richterspruch ausfällt, eine ganz andere. Vae victis!

Fake

Unser Buchtipp dazu: "Denying The Holocaust" von Lipstadt, Deborah versandkostenfrei bestellen bei bol.de [Abbildung: A "reconstruction" of the Lipstadt book].

 


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Berlin, 17. März 2000

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