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Der Tagesspiegel

Berlin, den 12. April 2000


Irving-Prozess

 

Bittere Niederlage für den Holocaust-Leugner

"Im Gegensatz zur Wirklichkeit" stehe der Schriftsteller David Irving, so urteilte Richter Charles Gray im Londoner High Court

Sebastian Borger

Drei Mal hat ein Gerichtsdiener die Menschen im überfüllten Saal 36 des Londoner High Courts zur Stille gemahnt -- "und bitte schalten Sie alle Mobiltelefone aus!" Dabei sind die Mahnungen völlig überflüssig. Denn kaum hat Richter Charles Gray auf seinem roten Sessel Platz genommen und mit leiser Stimme zu lesen begonnen, senkt sich atemlose Stille über den Saal. Von Minute zu Minute wird deutlicher: Hier, an diesem regnerischen Morgen des 11. April 2000, wird klargestellt, was von dem umstrittenen Schriftsteller David Irving, 62, zu halten ist: nichts.

Das elegante Juristen-Englisch von Richter Gray ist durchsetzt von abfälligen Bemerkungen über den Hobby-Historiker Irving. Dessen Ausführungen während des drei Monate dauernden Prozesses seien "völlig unhaltbar" gewesen, seine Bücher seien "tendenziös und ungerechtfertigt", gar "irreführend"; Irving stehe oft "im Gegensatz zur Wirklichkeit". Zwei Stunden dauert die Verlesung des 66-seitigen Urteils, und mehr und mehr wird der Kläger Irving, der in diesem Prozess seine angebliche Reputation verteidigen wollte, zum Angeklagten. Experten wie der konservative Unterhaus-Abgeordnete und Kronanwalt Edward Garnier reden später von der "schärfsten Sprache, die ich je in einem LipstadtVerleumdungsprozess von einem Richter gehört habe". Die Professorin Deborah Lipstadt (rechts), gegen deren Buch "Den Holocaust leugnen" Irving geklagt hatte, fühlt sich bestätigt: "Es ist ein Sieg für alle, die sich gegen Hass und Vorurteile ausgesprochen haben."

Irving, sonst stets korrekt im Dreireiher, ist an diesem Tag ohne Jackett im Gerichtssaal erschienen -- als wolle er seine Geringschätzung für den Urteilsspruch auch äußerlich dokumentieren. Während der Verlesung aber verzieht er keine Miene. Eine Zeitlang liest Irving noch intensiv mit, später sitzt er nur da und schaut ins Leere, rutscht auch mal auf dem Stuhl hin und her, wenn wieder einmal von "schuldhaften Auslassungen" in seinen Büchern die Rede ist. Einen "Antisemiten" dürfe man ihn nennen, "einen Rassisten und Auschwitz-Lügner", urteilt Richter Gray. Irving senkt den Blick.

Ob er nun doch bereut, diesen Prozess vom Zaun gebrochen zu haben? Nein, nein, hat er noch morgens im BBC-Interview beteuert: "Mein Ansehen ist durch diesen Prozess gestiegen. Ich habe die so genannten führenden Experten ganz schön ins Schwitzen gebracht." Dabei war es Irving, der an beinahe jedem Verhandlungstag des drei Monate dauernden Prozesses Behauptungen zurücknehmen, Eindrücke revidieren, falsche Behauptungen in seinen Büchern einräumen musste. Irvings Kenntnisse über den Zweiten Weltkrieg seien "ohne Parallele", sagt Richter Gray. Doch habe er seine Bücher stets mit einer "politischen Absicht" geschrieben, nie als wissenschaftlicher Geschichtsforscher. Damit sind endgültig alle Bücher Irvings diskreditiert.

Warum also der Prozess? Die Antwort dürfte in dem Umstand liegen, dass Irving wie alle Antisemiten und Auschwitz-Lügner nichts so toll findet wie öffentliche Aufmerksamkeit -- und dass ihm die zunehmend abhanden gekommen ist, seit Ende der 80er Jahre immer mehr Staatsanwälte und immer weniger Verlage sich für seine Auslassungen interessierten. Die deutsche Justiz etwa verfolgte ihn wegen Verbreitung der Auschwitz-Lüge und Volksverhetzung und erklärte ihn 1993 zur unerwünschten Person. Derzeit läuft gegen ihn ein Auslieferungsbegehren des Amtsgerichts Weinheim.

Während in der Bundesrepublik und anderen Staaten Auschwitz-Leugner strafrechtlich verfolgt werden, können Neonazis und Antisemiten in den USA das Recht auf freie Meinungsäußerung für sich in Anspruch nehmen -- mit fatalen Folgen. Deborah Lipstadt, Professorin für Holocaust-Studien an der Emory-Universität von Atlanta, stolperte Anfang der 90er Jahre über eine Meinungsumfrage, nach der 22 Prozent aller US-Bürger es für "möglich" hielten, dass der Holocaust eine Erfindung sei. Lipstadt veröffentlichte daraufhin 1994 ein Buch in den USA, in dem sie die Auschwitz-Lügner einer systematischen Untersuchung unterzog. Irving räumte sie viel Platz ein, weil der Brite durch sein Talent im Umgang mit historischen Quellen und seine Reputation als Bestseller-Autor häufig als Aushängeschild für obskure Gruppen fungierte. Mit seiner Klage gegen Lipstadt und den Penguin-Verlag wartete Irving aber, bis das Buch auch in Großbritannien erschienen war: Auf der Insel gelten drakonische Verleumdungsgesetze, die Klägern klare Vorteile einräumt.

Dass diese Kalkulation diesmal nicht aufging, lag zum Großteil daran, dass nicht nur Irving das Verfahren gegen Lipstadt und ihr Buch als Stellvertreter-Krieg begriff. Im Prozess erhielt die Professorin Unterstützung von führenden Holocaust-Forschern, angeführt von dem Cambridge-Professor Richard Evans, der zur Abfassung seines 740-seitigen Gutachtens zwei Jahre gebraucht hatte (und £76,000). Bezahlt wurde die Arbeit der Zeugen vom Penguin-Verlag. Kaufmännisch sei das Buch wohl "keine so gute Entscheidung gewesen", seufzte denn auch eine Verlagssprecherin angesichts der Prozesskosten von mehr als einer Million Pfund (3,2 Millionen Mark). "Aber wir wollten Irving ein für allemal in die Schranken weisen."

Dieses Ziel haben die Autorin und ihr Verlag erreicht. Wahrscheinlich hatte sogar der Prozess sein Gutes: Er zwang die Geschichtsforschung weltweit zur Selbstüberprüfung und zu detailliertem Quellenstudium, um zu bestätigen, was Richter Gray so zusammenfasste: "Kein objektiver, an Fairness interessierter Historiker kann nun noch bezweifeln, dass es in Auschwitz Gaskammern gab und dass in ihnen Hunderttausende von Juden umgebracht wurden."

David Irvings Karriere als Historiker ist am gestrigen Dienstag im Gerichtssaal 36 endgültig zu Ende gegangen. Der verurteilte Auschwitz-Lügner stand am Ende der Urteilsbegründung auf und sagte zum Richter gewandt: "Entschuldigung, Euer Ehren, es war mein Fehler, dass ich mich nicht klar genug ausgedrückt habe." Gegen Grays Urteil will Irving Revision einlegen.

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Berlin, den 12. April 2000

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